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„Eine gelungene Annäherung“

 
 

Gastbeitrag der Ko-Vorsitzenden des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums Bundesminister Christian Schmidt und Dr. Libor Roucek in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (30.1.2017)

„Es ist richtig und konsequent, dass Deutsche und Tschechen in der gemeinsamen Erklärung einer Meinung sind, dass das in der Vergangenheit begangene Unrecht zwar nicht vergessen werden darf. Aber die zwei Länder müssen ihre Beziehungen auf die Zukunft orientieren. Niemand kann heutzutage bezweifeln, dass diese Zukunft Europa heißt.“

So fasste Bundespräsident Roman Herzog vor zwanzig Jahren den Kerngehalt der Deutsch-Tschechischen Erklärung beider Regierungen vom 21. Januar 1997 zusammen.

Mit dem Experiment dieser Erklärung wurde eine Wende in den bilateralen Beziehungen unserer Länder eingeläutet. Die Erklärung hat eine historische Qualität. Sie ist kein Dokument der Rechtfertigung oder geschichtlicher Schönrednerei, sondern ein politisch und intellektuell anspruchsvolles Eingeständnis geschichtlicher Irrwege und eine Auseinandersetzung mit den Folgen chauvinistischer Überheblichkeit. Sie leugnet nicht die Untaten der Geschichte, NS-Aggression gegen Tschechen, Vertreibung der Sudetendeutschen und daraus folgend großes Misstrauen, sondern sie strebt an, die Zukunft gemeinsam zu gestalten und das neue Instrument der Bürgerdiplomatie zu nutzen. Dabei wurde individuelles Leid respektiert, auch durch finanzielle Beträge (eines gemeinsamen Fonds), aber vor allem durch das - nahezu vorzeitlich anmutende - Vertrauen auf Werte, Kultur und vor allem das Gespräch.

Kann so ein Ansatz funktionieren? Wir stellen heute fest: Ja, er kann. Auch wenn nicht sofort alle Fragen gelöst sind, haben gesellschaftlich institutionalisierte Gespräche und Begegnungen zwischen Bürgerinnen und Bürger, über 9000 gemeinsame Projekte und ein bilaterales Jugendforum wesentlich geholfen, dass zwei Staaten sich einander annähern.

Der Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds und das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum haben Räume wertgebundener und konstruktiver Begegnung geschaffen, die gefehlt hatten. „Dialog ohne Tabus“ – so der Name einer Arbeitsgruppe des Gesprächsforums – wird praktiziert – nicht ohne Schmerzen und Selbstüberwindung. Und so freuen wir uns sehr darüber, dass es gelungen ist, den Zukunftsfonds erneut gemeinsam mit finanziellen Mitteln  auszustatten, um so den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. 

Mit unserer gemeinsamen positiven Erfahrungen aus den vergangenen 20 Jahren im „Erfolgsmodell“ Deutsch-Tschechisches Gesprächsforum ist es eine gute Ergänzung, dass nun der geduldige Dialog der Zivilgesellschaft mit dem am 3. Juli 2015 initiierten Strategische Dialog unserer Regierungen eine weitere Säule unserer Beziehung bekommt. Das Ziel des Strategischen Dialogs ist es, den Austausch zu Fachthemen zu intensiveren und den Regierungsdialog so auf breite Schultern zu stellen. Das deutsch-tschechisches Gesprächsforum kann sehr stolz darauf sein, das Fundament hierfür gelegt zu haben.

Anlässlich des Jubiläums ist es ein wichtiges Anliegen, auch abseits offizieller Statements die Stimmungslage der Bevölkerung in unseren Ländern zu analysieren und zu messen, wie tief der Bürgerdialog wirkt. Was sagen und denken eigentlich Deutsche und Tschechen heute über ihre jeweiligen Nachbarn? Kennt man sich? Was schätzt man aneinander? Prägen die historischen Erfahrungen von Gewalt und Vergeltung noch immer unsere Einstellungen? Und - wie beurteilen wir den Zustand der EU? Welche Erwartungen haben wir an die EU?

Eine von uns im Gesprächsforum initiierte ländervergleichende gemeinsame Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach und des Instituts STEM aus Prag gibt bemerkenswerte Antworten.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass sehr viele Tschechen und Deutsche die heutigen deutsch-tschechischen Beziehungen nicht mehr durch die schmerzhaften Erfahrungen der Vergangenheit belastet sehen. Insbesondere in der deutsch-tschechischen Grenzregionen sind die Menschen über die Grenze hinweg näher gerückt, lernen sich kennen, pflegen Bekanntschaften. Deutsche und Tschechen verfolgen interessiert, was im jeweiligen Nachbarland passiert.

Doch beim Thema „Europa“ sind wir noch nicht durch. Augenblicklich bestehen Zweifel, ob „diese Zukunft Europa heißt“. Die Diskussion über die Richtung, in die Europa geht, bedarf einer Vertiefung. Sprachlosigkeit über Europa würde  der Verständnislosigkeit den Weg bereiten. Vaclav Havel, tschechischer Staatspräsident, fragte in seiner Rede zur deutsch-tschechischen Erklärung vor dem Deutschen Bundestag im Jahre 1997: „Denn was ist das gegenseitige Verständnis anderes als die Ausweitung der Freiheit und die Vertiefung der Wahrheit?“

Das heißt, dass wir auch weiterhin die Vergangenheit kennen müssen, um die Ausrichtung einer gemeinsamen europäischen Zukunft zu begründen. Es stimmt hoffnungsfroh, dass unter den jüngsten Befragten im Alter zwischen 16 – 25 Jahren die höchste Zahl zu finden ist, die die Antwort auf eine gemeinsame Herausforderung (nicht nur in der Flüchtlingsthematik) in einer gemeinsamen Europapolitik suchen.

Der Bürgerdialog zwischen Deutschen und Tschechen ist auch zukünftig unersetzlich. 

 

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