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Vorsichtig optimistisch für die Zukunft: Neue deutsch-tschechische Meinungsumfrage veröffentlicht

Hochrangige Persönlichkeiten aus Deutschland und Tschechien kamen nach zwei Jahren zur hybriden Jahreskonferenz des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums zusammen. Auch wurden die Ergebnisse einer neuen Meinungsumfrage veröffentlicht

Das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum lud kürzlich unter dem gemeinsamen Vorsitz von, für die tschechische Seite, Libor Rouček, Vizepräsident a.D. des Europäischen Parlaments und, für die deutsche Seite, Christian Schmidt, Hoher Beauftragter für Bosnien und Herzegowina, zur hybriden Jahreskonferenz 2021 nach Brünn in Tschechien ein.

Nach knapp zwei Jahren coronabedingter Pause kamen die Teilnehmer und Gäste erstmals wieder auch persönlich vor Ort zusammen.

Gleich zu Beginn setzte der ehemalige tschechische Minister für Kultur, Lubomír Zaorálek, den Ton für die Konferenz mit einem differenzierten Appell an die Gäste: „Eine Desintegration Europas wäre eine große Gefährdung“, so der Minister. „Diesem Prozess müsse die Stirn geboten werden, denn sonst würde jede erneute Krise zu einem Politikum.“ Es war ein Appell an die Zuhörenden, dass es zwar Unterschiede gäbe, diese aber nicht zur Spaltung führen dürften.

Damit war der Bogen geschlagen zum Konferenzthema „Deutschland und Tschechien: Was verbindet uns und wie vernetzen wir uns in einem Europa nach Corona?“

Die beiden Vorsitzenden Libor Rouček und Christian Schmidt betonten jeweils in Ihren Eingangsstatements den Blick nach vorne: „Das Thema der gesamten Konferenz sei vor allem die Frage, wie Tschechen und Deutsche in Europa nach der Pandemie zusammenfinden - wir denken also ein bisschen voraus und hoffen, dass die Pandemie bald vorbei ist“, so Libor Rouček.

Christian Schmidt ergänzte: „Genauso wichtig ist es aber auch, dankbar zu sein für das, was in den tschechisch-deutschen Beziehungen in den letzten dreißig Jahren geschehen ist. Dankbarkeit für die Tatsache, dass so viele von uns heute hier sind. Wir wollen aber zunehmend auf die guten Dinge aufbauen. Vor dreißig Jahren hätte niemand an die heutige Situation zu denken gewagt."

Zunächst in großer Runde und anschließend in drei parallellaufenden Panels wurde mit fachlich und wissenschaftlich vielfältig versierten Rednerinnen und Redner zu Mobilität, zum Green Deal sowie zur Digitalisierung debattiert – alles unter dem Leitgedanken zur Rolle der EU in der Welt sowie der Frage was europäische Demokratie im Kontext der gegenwärtigen Entwicklung und des Wandels bedeutet.

Insbesondere im Panelgespräch "Mobilität und grenzübergreifende Zusammenarbeit" wurde deutlich, dass noch ein großer Nachholbedarf besteht bei der logistischen Verknüpfung von Tschechien und Deutschland. Zum Einstieg in die Diskussion durften die Panelisten wahlweise Projekte nennen, die sie gerne umgesetzt sehen würden. Neben der Nennung einer Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Ústí nad Labem - Dresden durch den stellvertretenden tschechischen Verkehrsminister Jan Sechter, wurde vom Journalisten Steffen Neumann die Strecke Berlin-Görlitz-Prag-Wien genannt. Sabine Jeschke, ehemals Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bahn, betonte, dass die Nord-Süd-Achse insgesamt priorisiert werden müsse, damit auch konkrete Schritte umgesetzt werden können. Gemeint seien beispielsweise technische Anforderungen, wie die Angleichung der Streckengeschwindigkeiten in Tschechien und Deutschland.

Bei der Diskussion wurde zudem hervorgehoben, dass die Digitalisierung mittels start-ups und Impact Hubs eine stärkere Rolle spielen müsste, auch unter Hinzuziehung von Universitäten und Hochschulen. Nicht zuletzt fiel das Stichwort der Klimaneutralität, die heute stets mitgedacht werden sollte. Interessant war dabei die Erkenntnis aus dem Panel "Green Deal, Energiewende und die soziale Dimension des Wandels", dass im Vergleich zu Tschechien, in Deutschland ein viel breiterer öffentlicher Diskurs zum Thema Energiewende stattfände. Das würde die Akzeptanz eines Wandels in der Gesellschaft insgesamt stärker begünstigen. Die Hoffnung wäre, dass man hier bilateral voneinander lernen könne.

Das Panel "Digitalisierung und der deutsch-tschechische digitale Raum" schließlich thematisierte die Herausforderung, den Technologiekonzernen nicht die Überhand zu lassen und die demokratischen Prinzipien zu stärken. Dies würde Tschechien wie Deutschland gleichermaßen betreffen. Der Wunsch nach einer europäischen Lösung sei zwar da, aber in der Umsetzung bedürfe es noch vielfältiger Abstimmung.

In der Abschlussdebatte wurde dann lebendig über "Next Generation EU" - dem Konjunkturfonds der Europäischen Union - sowie über die Konferenz zur Zukunft Europas diskutiert. Für beide Länder sei es gut, dass der Fonds eingerichtet wurde. Bei der Konferenz zu Europas Zukunft bestünde aber noch Bedarf diese noch mehr in die in Öffentlichkeit zu bringen.

Bernd Posselt, Präsident der Paneuropa Union Deutschland e.V., plädierte in diesem Zusammenhang in einem leidenschaftlichen Redebeitrag für einen verstärkten Einsatz für eine föderalistische Europäische Union. Neben einer Vertreterin des Deutsch-Tschechischen Jugendforums, diskutierten hierbei auch Wissenschaftler der Hanns-Seidel-Stiftung, der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie des Instituts für internationale Beziehungen Prag.

Im Hinblick auf diese Diskussion griff der Vorsitzende Christian Schmidt in den Schlussbemerkungen nochmal die Beiträge von Bernd Posselt und weiterer Rednerinnen und Redner auf und betonte, dass man für eine zukunftsfähige Europäische Union in der Tat nicht lediglich an ein "Kerneuropa" denken kann, das kleinere und schwächere Staaten zusammenhält, sondern dass alle Mitgliedstaaten gleiche Rechte und eine gleiche Stimme haben müssen, sonst könne die Union nicht funktionieren.

Während der Konferenz wurde zudem eine, vom Deutsch-Tschechischen Gesprächsforum und Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, in Auftrag gegebene Meinungsumfrage zu den bilateralen Beziehungen präsentiert.

Die Umfragen wurden dabei gemeinsam durch das Institut für Demoskopie Allensbach in Deutschland sowie dem Meinungsforschungsinstitut STEM in Tschechien in beiden Ländern im Zeitraum August bis September 2021 durchgeführt und stützen sich auf die persönliche („face to face“) Befragung von Personen, die repräsentativ für die Bevölkerung ab 16 Jahre sind.

Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Fragen, wie die Einstellung der Befragten zur Mitgliedschaft der EU, ob sie eher Vorteile oder Nachteile sehen und welche positiven Attribute der EU zugeschrieben werden, wurden in der Regel zwar von Tschechen und Deutschen nach wie vor unterschiedlich und eher skeptisch bewertet. Dennoch wurde im Vergleich zu 2016 bei vielen Werten eine positive Entwicklung sichtbar: Die jeweiligen Veränderungen waren bei den negativen Aussagen deutlich ausgeprägter in Richtung einer positiveren Bewertung.

So sei beispielsweise die Wahrnehmung der Tschechen in Bezug auf die Durchsetzung von Interessen des eigenen Landes in der EU im Vergleich zu 2016 optimistischer. Der Anteil derer, die meinen, dass das eigene Land seine Interessen in der EU nicht ausreichend durchsetzen könne, sei von knapp zwei Drittel (63%) im Jahr 2016 auf 56 % gesunken. Bei den Deutschen war das Gegenteil der Fall: Der Anteil derer, die sagten, dass man die Interessen des eigenen Landes nicht ausreichend durchsetzen könne, lag im Jahr 2021 bei 42 % und war damit knapp sechs Prozentpunkte höher als im Jahr 2016 (36%).

Steffen de Sombre vom Institut für Demoskopie Allensbach hierzu: „Die Einschätzung der Durchsetzung eigener Interessen in der EU ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil sie eng mit der Wahrnehmung von Vor- oder Nachteilen durch die Mitgliedschaft in der EU korreliert.“

Im Hinblick auf die Wahrnehmung der EU in Deutschland wie in Tschechien gebe es ähnliche Vorbehalte. So werde die EU von Befragten aus beiden Ländern als bürokratische, schwerfällige Institution gesehen. Positive Attribute werden der EU insgesamt seltener zugeschrieben. Aber wenn dies geschieht, dann unterscheide sich deutlich in welchen Bereichen Deutsche und Tschechen diese Eigenschaften der EU zuschreiben. Knapp die Hälfte der befragten Deutschen sagten, dass sie die EU „als notwendigen Zusammenschluss sehen, um sich gegen Großmächte wie die USA oder China behaupten zu können“. Bei den tschechischen Befragten wurde am häufigsten „die große Wirtschaftskraft der EU genannt“.

In seiner Präsentation hielt der Wissenschaftler Ondřej Kopečný vom STEM Institut fest, dass „der wichtigste Faktor für das Interesse am Geschehen im Nachbarland die Zahl deutscher bzw. tschechischer Bekannter sei“. Dies sei auch schon in der Meinungsumfrage von 2016 der wichtigste Faktor für gegenseitiges Interesse gewesen.

Einen Schwerpunkt der diesjährigen Meinungsumfrage war auch die Haltung der Bevölkerungen zur Bewältigung der Coronapandemie sowie zu den Grenzschließungen.  Hier zeigte sich, dass eine Mehrheit der Befragten, die temporären Grenzschließungen durchaus akzeptierte. Auch an den Grenzregionen überwiegte dieses Votum.

Konkret auf die Coronapandemie bezogen zeigten sich die Vorsitzenden Rouček und Schmidt insgesamt optimistisch, dass sich nach der anfänglichen Irritation aufgrund der Grenzschließungen die deutsch-tschechischen Beziehungen insgesamt als widerstandsfähig und vertrauensvoll erwiesen haben.

 

Prag/Berlin
Im Dezember 2021

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